Mittwoch, 13. April 2011

Zu wahr, um schön zu sein

Michel Houllebecq, "Karte und Gebiet". Wie schreibt er, den Slogan von Michelin wieder gebend /realitätsnah kreierend: "Die Karte ist wichtiger als das Gebiet". Genau, so ist das im Kunstbetrieb. Was man wie und wo daraus macht, ist wichtiger als der Inhalt.
Werden deshalb die Inhalte automatisch schlecht? Kann nicht sein. So muss also jeder Betrachter immer wieder selbst entscheiden, was ihm gefällt, und wird dabei mal mehr, mal weniger von der öffentlichen Inszenierung des "Wichtigen" behindert.
Jed, Houllebecqs "Held", gerät in die Mühlen des Kunstbetriebs ganz ohne weiteres Zutun, plötzlich sind seine Gemälde Millionen wert (ich bin noch nicht am Schluss des Buches). Und das wird so boshaft und amüsant hergeleitet, dass ich total neugierig bin und heute Abend noch weiter lesen muss, wie es weitergeht. Bleibt er oben? Haut es ihn nach unten? Wo ist oben eigentlich? Was macht der Houllebecq in seinem eigenen Roman? Und warum ist das ein Thriller?
Schwenk ins tägliche Leben, in mein Leben. Seit x Jahren ehrenamtliche Kulturarbeit in verschiedenen Umfeldern, außerdem natürlich Bildungsarbeit in der Schule. Was kommt im Leben der "normalen" Menschen an? Brauchen die Kunst? Ich frage es mich immer wieder. Was heißt "brauchen"? Gebrauchen, benutzen, aber auch lieben, benötigen. Diese letzte Gruppe erscheint mir so klein und immer kleiner werdend. Die Mühe der Auseinandersetzung nimmt längst nicht jeder auf sich, allerdings umso eher, als er selbst "Kunst macht", also irgendwie kreativ handelt.
Zurück zum Buch, zum Held: Jed dokumentiert, sammelt und stellt Zusammenhänge dar. Er kartiert das menschliche Sein, den Sinn für Werkzeuge, Abstraktionen, Beziehungsmanagement. Wer offenen Auges durch die Welt geht, kann das jeden Tag im Geiste tun und gerne den Computer dafür hernehmen (wie mein bayrischer Schwager jetzt sagen würde, ein wunderbares Wort, das die leise mitschwingende Gewaltanwendung in der Benutzung anklingen lässt: hernehmen).
Da sind wir dann bei einer meiner Leidenschaften, dem "Bildlexikon des schlechten Geschmacks", das ich verbal bei Ausflügen zum Rest der Menschheit (also in Städten) gerne fülle. Könnte ich das so wunderbar verschriftlichen wie Michel H., hätte ich "Karte und Gebiet" geschrieben und nicht er. Michel, ich trinke auf dich.

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