Sonntag, 30. Dezember 2012

Krass!

Vor einigen Tagen machte ich meiner Verzweiflung über mein Dasein in der Schule Luft und sinnierte so vor mich hin, dass "man" einen Verein gründen müsste, der vorbei an allen Interessengruppen das Wohl der Kinder im Auge hat und die Anpassung des Schulsystems an die Erkenntnisse der Hirnforschung voran treibt.
So schlau wie ich ist Gerald Hüther schon lange. Endlich habe ich ihn mir mal angehört, in dieser grauenvoll geschnittenen Sendung "Precht", deren Machern es nicht genügt, wenn zwei intelligente Menschen sich unterhalten. Das Setting war mir aber bald egal, und ich dachte nur: "Krass! Der sagt wirklich, was er denkt!" Dass das im deutschen Fernsehen erlaubt ist, wusste ich nicht. Naja, wer guckt schon "Precht", die paar Hansels dürfen ruhig mal etwas Ehrliches, Aufrüttelndes hören. Dachte sich die Frau ohne Fernseher, die von ihrem Freund ohne Fernseher den Tipp bekommen hatte, sich diese Sendung mal auf youtube anzusehen.
Am meisten beeindruckt hat mich, dass Hüther davon überzeugt scheint, Einsicht werde die Welt packen und verändern. Das schreibe ich ohne Ironie, seine intellektuelle und emotionale Beteiligung fand ich überwältigend. Und dann erwähnte er noch das Projekt in Thüringen,"Neue Lernkultur in Kommunen", ich musste gleich bei Google nachsehen, was das ist. Danach habe ich Reformschulen in Rheinland-Pfalz gesucht und danach den Computer ausgemacht.
Den Hüther, den lässt man da im fernen Osten ein wenig wursteln, damit er beschäftigt ist. Ansonsten bleibt alles beim Alten. Hirnforschung ist ja gut und schön, aber die Erkenntnisse umzusetzen ist uns zu teuer. Was das für eine zynische Milchmädchenrechnung ist, hat er schön erklärt.
Und ich? Wie soll ich der totalen Sinnlosigkeit meines Alltags entkommen? Wie soll ich mir schön reden, was ich da täglich mache? Ich brauche doch das Geld und habe nichts anderes gelernt!
Zugegeben, das ist zum Glück leicht übertrieben, aber nur leicht. Ich bin müde, und ich habe Angst vor dem, was noch kommt. "Krass", denke ich, "jetzt habe ich genau geschrieben, was ich denke." Fazit: Man kann vom Fernsehen profitieren, ohne einen Fernseher zu haben. Man kann von Leuten lernen, die gar nicht beabsichtigt haben, einem was beizubringen. Man kann die Hoffnung aufrecht erhalten, ohne dass Grund dazu besteht. 


Sonntag, 25. November 2012

Digitale Demenz

Jetzt habe ich es endlich auch gelesen. Nicht jede Seite, das gebe ich zu. Ich schätze Manfred Spitzer als mitreißenden Redner, und wenn er sich vergaloppiert oder Äpfel mit Birnen mischt, dann kann ich einfach nicht hinlesen. Schon der Titel ist polemisch und er lässt keinen Zweifel daran, dass Spitzer nicht dokumentieren, sondern lenken will. Er will uns retten.

Spitzer weiß viel und er legt es anschaulich dar. Sobald er über die Arbeitsweise des Gehirns spricht, hänge ich an seinen Lippen.
Wendet er sich der Arbeitsweise der Medien zu, fällt es mir teilweise schwer, ihm zu folgen. Manches habe ich schon gehört, und es leuchtet mir ein, z.B.: Wer gerade virtuell geballert hat, ist weniger empathiefähig. Manches finde ich absurd, z.B. das In-einen-Topf-Werfen aller Computerspiele. Selten unterläuft ihm eine argumentative Unschärfe, wenn er z.B. das Tippen einer Taste als weniger aktiv als das händische Schreiben bezeichnet, später aber das Spielen per Tastendruck als aktiv darstellt.

Eines aber trifft er genau: Den Zusammenhang von bildungspolitischem Messianismus und wirtschaftlichem Profit. Wir bringen euch das Heil ... und denken keinen Gedanken zuende. Was wird aus den Smartboards, die angemackt und funktionsuntüchtig vor sich hingammeln? Wer datet die ganzen Computer up? Wer erklärt uns Lehrern, an welchen Stellen wir unseren Unterricht mit dieser Technik bereichern?
Ein Computer-Bauftragter für jede Schule müsste her, außerdem Fortbildungen, die ihren Namen auch verdienen. Vielleicht sollte man die Lizenz-Gebühren, die in Windows gesteckt werden, obwohl es mittlerweile für alles freie Alternativen gibt, in die Pflege der schulischen IT und ihrer Nutzer stecken. Aber daran verdient ja niemand etwas.

Dies ist übrigens ein Blog-Artikel im Internet. Ich liebe das Internet, und auch Manfred Spitzer kann mir nicht weismachen, dass es mich verdummt. Doch die Verquickung von Bildungspolitik und IT-Lobbyismus hat einen, hat Spitzers genauen Blick verdient.

Freitag, 2. November 2012

Generationenfrage Internetnutzung?

Im Nachgang zu meinem gestrigen Post habe ich intensiv darüber nachgedacht, warum Politiker und Chefredakteure im Internet so viel Böses wittern. Heute kommt Antje Schrupp  mit einem Artikel daher, der meinen Gedankengang aufnimmt und klärt: "Netzfeminismus, was soll das denn sein" auf antjeschrupp.com (schade, dass man hier keinen Link posten kann, wahrscheinlich bin ich nur zu blöd dazu).

Politiker meines Alters sind nicht mit dem Internet groß geworden. Ich blogge hier nur dank meines technikaffinen Lebensgefährten, der mir nicht nur gezeigt hat, wie man einen Blog einrichtet, sondern auch, was da für interessante Sachen drin stehen können. Er selbst ist sicher nicht repräsentativ für den Umgang unserer Generation mit dem Netz, den Schrupp kurz umreißt mit: mailen, recherchieren, Ende. Diskutieren ist da nicht vorgesehen.

Will ein Politiker über vierzig sich aktiv im Netz betätigen, "darf" er das nicht mehr, wenn er die Karriere-Leiter schon so weit erklommen hat, dass jede seiner Äußerungen kontrollierbar und rückholbar sein muss. Ein jüngerer Politiker, der sich schon lange aktiv im Netz betätigt, hat dort höchstwahrscheinlich schon mal etwas abgesondert, was seiner Karriere im Weg steht. Er wird also nicht mehr in die oberen Ränge aufrücken. Somit sind keine Politiker in der Politik aktiv, die auch im Netz aktiv sind. Auf dieser Grundlage muss ihnen das Internet unheimlich und die dort herrschende Freiheit suspekt werden.

Schrupp beendet ihren Artikel mit der Mutmaßung, dass es noch so zwanzig Jahre dauert, bis sich die "Relevanzverhältnisse im gesellschaftlichen Diskurs" im Internet abbilden. Denn erst dann wird jede/r das Netz sinnvoll und selbstverständlich nutzen können.

Das könnte etwas schneller klappen, wenn die unselige und heuchlerische Front "vertrauenswürdige Medien wie Print und Öffentliche Sender versus Netz" aufgelöst wird, wie sie z.B. die ZEIT in ihrer aktuellen Ausgabe mit dem Artikel "An die Wand" aufmacht.

Jetzt ziehe ich mich wieder auf vertrautes geistiges Gebiet zurück. Im nächsten Post wird es wahrscheinlich um Türen gehen ;).

Donnerstag, 1. November 2012

Wege zur Kunst

Sie sind manchmal länger als gedacht, heute je zwei Stunden hin und zurück, das Doppelte der üblichen Zeit.
Unter dem Motto "Privat" zeigt die Schirn Fotos und Videos der Post-Privacy-Ära, in der wir uns gerade befinden. Begrüßt wird der Besucher mit einer verschlossenen Tür, hinter der die Geräusche eines Beziehungsdramas zu hören sind. Großartige Idee! Bin ich doch gestern von einem Ureinwohner meines Ortes über den nicht vorhandenen Zaun und die nicht vorhandene Tür hinweg als faul beschimpft und über richtige Gartenpflege belehrt worden. Eine Tür, schon eine gläserne, hätte mich wahrscheinlich beschützt. Was hinter Türen statt findet, geht uns nichts an. Da mag heraus dringen, was will.

Unwillkürlich frage ich mich, was da jetzt wohl Kunst sein könnte und gehe erst mal nach den Namen der Künstler. Mein Stern Andy hat seinen schlafenden Liebhaber gefilmt. HM. In so manchen Raum habe ich keine Lust, hinein zu gehen, zum Beispiel auch zur hoch gelobten Nan Goldin.
Beeindruckend hingegen Fiona Tans wandfüllendes Panorama japanischer Lebenssituationen: jung sein, heiraten, Kinder, Urlaub, Kirschblüte. Viele Facetten, anrührend fotografiert.
Auch beeindruckend, aber sehr traurig: Marilyn Minters Serie "Mom". Genial: Sophie Calle. Der König: Ai Wei-Wei.

Die Frage nach der Kunst hat sich schnell in Luft aufgelöst, viel wichtiger ist: Was in diesen Bildern und den Motivationen, sie zu machen, kann ich verstehen? Was sagt es über mein Leben? Dieser Blog ist öffentlich, aber nur ganz wenige Menschen lesen ihn. Er ist auch privat, denn ich schreibe nur über Dinge, die mich persönlich interessieren. Im Falle Ai Wei-Wei wurde das, was ihn interessierte, politisch. Er sieht die Produktion von Texten und Bildern als gleichwertig und gleichzeitig an. Im Mittelpunkt steht seine persönliche Sicht der Dinge, die er öffentlich zur Schau stellt, in seinem Blog. Das habe ich sofort verstanden. Leider mache ich nicht so gute Bilder wie er. Mein Weg zu seiner Kunst führte über die Stärke seiner Bilder.

Die gerade entbrannte Debatte über Web 2.0 und  die Zukunft der vernetzten Gesellschaft hört sich doch verdammt kulturpessimistisch (ja, genau, Anklang an Früheres) an. Was da in der ZEIT zu lesen (ich hab' s heute mal wieder versucht) und im Radio zu hören ist, ist manchmal schwer zu ertragen. Warum äußern sich die Leute nicht einfach über etwas, von dem sie eine Ahnung haben? Warum ist da so wenig Hingabe im Spiel? Eher mehr so kleinkariertes Besserwissertum? Ich bin dafür, dass alle Politiker und alle Chefredakteure (doch, auch der von der BILD) kostenlos in die Schirn gehen dürfen. Macht euch auf den Weg zur Kunst.

Meine Sicht des Privaten und seiner Qualität hat sich verändert, konkretisiert: Nur, wenn ich etwas wichtig nehme und zu meinem Thema mache, kann ich andere Menschen dafür interessieren. Und so nebenbei habe ich einige Bilder gesehen, die in meinem Kopf bleiben werden.

Freitag, 26. Oktober 2012

Lebenstempo

Einer meiner liebsten Blogs ist der Lebenstempo-Blog von Petra Schuseil.

Lebenstempo - das ist ein griffiger Begriff, den man gerne  mit positiven Assoziationen belegt. Schnelles Tempo ist energiegeladen, flexibel und animierend, langsames Tempo ist besonnen, genussvoll. Wichtig: das Tempo bestimmt man selbst.

Und plötzlich wird mir klar, wie mein Leben gerade funktioniert: das Tempo bestimmen die anderen. Ich renne hinterher oder warte. ODER?
Nein, es ist schon besser, ich bestimme manchmal selbst das Tempo, genau genommen lasse ich zu, dass vor allem meine Förderschüler das Tempo bestimmen. Eine beglückende Erfahrung, zu spüren, dass etwas (noch) nicht geht (z.B. eine Halbe von einer Viertelnote zu unterscheiden), und dann anzubahnen, dass es geht. Die Freude zu spüren, die freigesetzt wird, wenn mein Schüler es dann weiß. Genug Geduld gehabt zu haben, um diesen Moment der Freude abzuwarten. Mich mit ihm zu freuen, das Wissen mit ihm anzuwenden, ihn vor der Klasse sprechen zu hören, wie er selbstbewusst zeigt, dass er es jetzt weiß. Obwohl es meinem Naturell zuwider läuft, macht es mich glücklich, langsam sein zu können.

Das ist das Beste an meinem Beruf: die anderen Menschen zu erleben und sich auf sie einzulassen. Manchmal bereue ich das hinterher, aber meistens macht es mich glücklich. Ich lerne dabei viel über mich selbst.

Tempo ist in der Schule ein außerordentlich wichtiger Begriff. Wer zu langsam ist, fällt durch (wohin?), wer zu schnell ist, langweilt sich. Das Lebenstempo der einzelnen Schüler zu treffen, kann uns nicht gelingen. Das Ausmaß an  Verschwendung von Zeit, das so entsteht, ist beängstigend. Mit welchem Recht tun wir das?

Ein nachdenklicher Abschluss eines Gedankengangs, der aus der Eile entstand. Heute, am Freitagabend , sitze ich ruhig im Sessel und schreibe. Morgen geht's schon wieder rund, ich beeile mich, strenge mich an, um alles "rechtzeitig" zurückzugeben und auszuteilen. Immer am Laufen, Anstoßen und Lenken. Für wen?

Montag, 22. Oktober 2012

Bücherbüffet Karlsruhe, Digestif

Vier sonnige Tage voller Bücher, Lesungen und Gespräche.
Und jetzt 'nen Schnaps, heute zu mir genommen in Form eines Schultages mit Vertretungsstunde und allem Schnick und Schnack.
Wer eine kleine Veranstaltung  irgendwelcher Art jemals auf die Beine gestellt hat, der weiß, was es heißt, dieses Bücherbüffet mit seinen vielen Facetten und Veranstaltungen zu organisieren. 30 Aussteller, Musik, Leseprogramm, Catering. Eine Halle, die auch bei schönstem goldenem Oktober-Wetter nicht warm wird. Jede Menge Atmosphäre, wenig Publikum.
Aber ich habe das ja gar nicht organisiert, ich war nur als Ausstellerin da, durfte mich vier Tage lang mit Buchbegeisterten unterhalten, in der Sonne herum lungern, Programm konsumieren und mich an der sanften Schrägheit so manchen Events ergötzen.
In Deutschland erscheinen jährlich 90.000 Bücher. Die meisten davon sind für mich nicht interessant. Gerade bin ich an Ingrid Nolls neuestem Krimi gescheitert, obwohl ich die Autorin schätze und neulich ein super sympathisches Interview mit ihr im HR2 lief. Mein Anspruch an Literatur wird immer höher: ehrlich soll es sein, durchaus auch mal traurig (Anna Gavalda!), die Sprache soll eigen und uneitel sein, die Personen schräg, aber authentisch (Der Hundertjährige ...). So würde ich selbst gerne schreiben können.
Und genau dafür war das Bücherbüffet neben dem reinen Genuss zuständig: für das Ausloten meiner Ansprüche an andere Autoren und mich. Bedeutet: Jetzt gibt es wieder Ziele. Einmal, "Ich bin  die Reise" doch noch irgendwo unterzubringen. Der Text ist nicht besser und nicht schlechter als manch anderer. Zum Zweiten, ein neues Buch zu schreiben und dabei alles besser zu machen. Denn es wäre ja doch schön, sich aus der Masse der 90.000 irgend wie abheben zu können und gleichzeitig noch auf's Bücherbüffet zu passen. Fräulein, ein Gedeck bitte.

Sonntag, 14. Oktober 2012

Riech mal!

Heute war es so weit: die "Dufterinnerungen an die Kindheit" im Rahmen meiner Ausstellung "O selig, ein Kind noch zu sein" im Heimatmuseum Bischofsheim fanden statt.
Bettina Frauen vom Duft-Reich kenne ich seit letztem Winter, als sie mich, die ich mich Fantasiereisen und Sachen mit geschlossen Augen gegenüber (wer mich kennt, hört den Unterton) eher abwartend verhalte, als sie mich unesoterisches Wesen also, mit auf eine Duftreise über den Weihnachtsmarkt nahm. Ach Gott, Weihnachten.
Ich konnte es kaum fassen, aber es war wunderbar, im besten Sinne anheimelnd und aufklärerisch zugleich. Schon vor knapp einem Jahr dachte ich, dass es schön wäre, mit ihr zusammen zu arbeiten. Die Idee der Duftreise in die Kindheit wurde im Frühjahr greifbar. Und heute nun der Praxis-Test. Geht das, mit wildfremden Menschen über Kunst und über ihr Leben und ihre Wahrnehmung zu sprechen?
Ich würde dieses Posting natürlich nicht schreiben, wenn ich enttäuscht wäre. Aber ich bin mehr als "nicht enttäuscht", ich bin wach, leicht euphorisch, animiert. Da geht noch was! Diese ganzen Duftsachen in Filmdöschen, das "Lernen mit allen Sinnen" (buzzword-Faktor x), dieses Rumsitzen im Schneidersitz mit geschlossenen Augen und schwer werden usw. - ähm, tja, das brauche ich immer noch nicht. Aber eine sinnliche Erfahrung in einem geschützten Raum verändert die Welt. Plötzlich redet man über ein abstraktes Bild, über Farbklänge, über kindliche Freuden, über Sehnsucht.

Sehr schön ist die Erklärung, warum der Geruchssinn direkt mit unseren Gefühlen verbunden ist: wir können ihn nicht filtern. Indem wir atmen, riechen wir, intensiver mit der Nase, aber auch mit Mund und Rachen. Wir fürchten den Geruch ein wenig, mit geschlossenen Augen an etwas zu riechen, ist eine Mutprobe. Ekel und Angst dürfen nicht mal zu erahnen sein. Die Kunst schafft hier den vertrauenswürdigen Rahmen, es geht um Schönes im weitesten Sinne.

Da muss ich 45 Jahre alt werden, um eine neue Variante der Kunstvermittlung kennen zu lernen. Hat Spaß gemacht, werde ich wieder tun.

Samstag, 6. Oktober 2012

Auf und Ab

Puh, da bin ich aber froh, dass mein letzter Post wenigstens aus diesem Jahr ist. Die Schreibmaschine wird wieder angeworfen, denn es ist ganz schön was los in meinem Leben. Nein, keine wilde Affäre, kein Lottogewinn, einfach nur das normale Auf und Ab. Ich verabschiede mich gerade vom zweiten Konzept in meiner Zeit als Selbstständige (im Nebenerwerb) und empfinde das tatsächlich wie den sprichwörtlichen Abstieg vom toten Pferd. Schade eigentlich. Und doch ... ist jedes Ende ein Anfang, jedenfalls, solange wir noch leben.

 Damit ich das nicht übersehe, hat Fernando Meireilles den Film 360 gemacht. Der Kreis, der hier geschlagen wird, umfasst so Hohes und Tiefes, wie ich es nicht erlebt habe. Aber er ist trotzdem dem echten Leben ganz nah, nur etwas übertrieben, damit ich es auch behalte. Angst, Verzweiflung, Begierde, Berechnung, Glück, Hingabe, Begeisterung, Draufgängertum - alles drin. Als ich aus dem Kino kam, war jedes Gefühl, zu dem ich fähig bin, als winziges Bruchstück präsent. Es gibt so viele Sprüche über das Scheitern, über das wieder Aufstehen und neu Anfangen. Trotz aller Beschönigung und Aufladung mit Sinn muss man ertragen, dass es einfach nicht geklappt hat. Aber das ist nicht das Ende. Nicht mal für Tyler, für den sein ganzes bisheriges Leben nicht geklappt hat. Nicht für John, der - ohne es zu wissen - einen Schalter umlegte, der seine Tochter für immer von ihm trennt. "Scheiß drauf", sagt er in seinem großartigen Monolog, den ich mir auf jeden Fall noch Mal im englischen Original anhören werde. Das klingt bei ihm nicht despektierlich, sondern wie ein etwas rauher Abschiedsgruß. Okay, ich scheiß drauf.

Mittwoch, 25. April 2012

Schööön!

Mittwoch letzter Woche, wir erkunden nach einem leckeren Essen warm eingepackt die "Luminale" in Mainz. Es ist einfach wunderbar, Farbe, Abbild, Idee. Schööön! Warum rührt mich die Kunst an? Was ist es, das mich nach einem solchen Erlebnis wunschlos und erfüllt ins Bett sinken lässt, keine Gedanken an Schule, morgen, gestern, irgendwas? Unsterblichkeit durch das Erschaffen von Kunstwerken zu erlangen, ist für mich ein Theorem. Die Wirklichkeit fühlt sich anders an. Ich schaffe Kunst, ich sehe und fühle Kunst und das Überdauern ist dabei ein Nebeneffekt. Das Bild in meinem Kopf überdauert und stirbt mit mir. Mag das Werk auch alterslos vor sich hin existieren, in meinem Kopf wandelt sich die Erinnerung. Mal abgesehen davon, dass die heutige Kunst oft nicht mehr auf Dauer ausgelegt ist und sehr alte Kunst uns immer Respekt abnötigt, ist der Mensch in seiner Unvollkommenheit ohnehin nicht geeignet, ewige Werte zu erkennen. Für mich gibt es das schöne Erlebnis, den Augenblick. Unheimliche Krieger im Dunkeln, eine schmelzende Fassade der Zitadelle, ein Wechselbad in unterschiedlichen Lichttemperaturen und noch Einiges mehr bekamen wir auf der Luminale 2012 geboten. Mich erreichte vor allem eine Botschaft: Wir Menschen sind da, wir erfinden und schaffen und schauen, sind neugierig und wertschätzend dem Interessanten und leicht Abwegigen gegenüber. Wir begehen nicht nur Massenmorde und richten die Erde zugrunde, nein, wir sind groß, schön. Einfach so, am Mittwochabend.

Sonntag, 26. Februar 2012

It's magic

"Bürgertag" im neu eröffneten Städel. Ich sage zu meiner Freundin: "Und wenn uns das zu lange dauert, gehen wir einfach in ein anderes Museum."
Schlange, oh, auch noch um die Ecke, achduje, noch am Anbau entlang, na, ob das was wird ... Es wird. Die Schlange bewegt sich zügig - und reißt auch in den zweieinhalb Stunden, die wir im Städel verbringen, nicht ab. Kurze Einweisung vorm Eingang, Mantel an oder aus, nicht überm Arm, Tasche so herum und nicht anders, okay. Wir sind drin.
Treppe runter, Übergang zum Garten. Treppe runter, it's magic. Ist das schön! Alle haben darüber geschrieben und geredet, aber das muss man gesehen haben. Licht von oben, sanft, glühend, natürlich. Die Häuser in der Halle verstreut, einzelne Bilder erkenne ich wieder, und kann ihrer Anziehungskraft folgen, ihre Wohnräume betreten. "Beliebigkeit" wurde da auf HR2 erwähnt. Der Verdacht keimt auf, aber vielleicht hilft es, nicht alle "Sinn stiftenden" Texte an der Wand zu lesen, um ihn zu entkräften. Ich lasse die Werke auf mich wirken und genieße es, ihnen so nahe zu sein. Denn es entsteht Intimität in diesen Häusern, und die Bildauswahl ist dafür so entscheidend wie die Platzierung der Kunstwerke: Bilder an den Wänden, Skulpturen auf dem Boden, und das alles ohne "Abstandhalter".
Wie die Organisationsleitung es geschafft hat, so viele Leute durch das Städel zu schleusen, ohne dass man das Gefühl der Enge bekommt? Wie die Aufseher es schaffen, dem Chaos so ruhig und freundlich zu begegnen? Wurst, Hauptsache, es klappt. Vielen Dank für den schönen Nachmittag.

Freitag, 20. Januar 2012

Vom Maya-Kalender

The world is about to be destroyed ... und auf eine merkwürdige Weise wissen wir ganz gut, wie das vor sich geht und welche Rolle wir dabei spielen.

Jetzt ist aber immerhin auch klar, dass wir so weitermachen können wie bisher, denn es ist ohnehin Schluss am 21.12.12. Denn dann endet der Maya-Kalender.
Ich erinnere mich an diese Frau, die meine Mutter anrief, als ich noch in die Grundschule ging. Meine Mutter solle Konserven und Wasser in den Keller schaffen, das Ende der Welt sei nah, und man meine es sehr gut mit uns. Meine Mutter, die sich ein wenig dafür schämte, über diese Frau zu lachen und doch keinen Weg fand, das Wohlmeinen angemessen zu würdigen.
So alle dreißig Jahre scheint die Welt also unterzugehen.

Gleichzeitig lese ich Theorien über Ölbestände, die in alle Ewigkeit reichen, wenn wir uns nur endlich der Knute der arabischen Ölmultis entwinden. Ich lese, dass der Klimawandel nur eine Inszenierung ist, die uns gefügig machen soll. Dass man auf 2000m das ganze Jahr über Obst anbauen kann. Ist doch alles super, wo geht denn hier was kaputt?

Bevor ich mich in ideologiekritischen Scharmützeln aufreibe, erinnere ich mich an das, was mich antreibt: mein Wille zur und mein Glaube an die Selbstbestimmung. Ich entscheide, was ich glaube, was ich kaufe, wie ich lebe. Ich habe die Macht, etwas zu bewegen, in meinem direkten Umfeld. Ich bestimme, wann die Welt untergeht, jedenfalls für mich. Die Welt der Maya ist übrigens schon lange untergegangen. Das Ende im Kalender muss also etwas Anderes bedeuten, mal sehen, was mir da einfällt. Weihnachtsferien!! Genau! Alles wird gut.