Freitag, 1. Februar 2013

Wichtig ich bin

Hattie heißt der Mann, den die Zeit schon zweimal zum Anlass nahm, um die Figur und die Aufgaben des Lehrers zu beleuchten (2011 wichtig / 2013 superwichtig). Er hat die Ergebnisse vieler Bildungsstudien zusammengefasst und herausgestellt, was gemäß seiner Synopse die besten Schülerleistungen hervorruft: eine fachlich gut qualifizierte, lenkende, schülerorientierte, selbstreflektive Lehrerpersönlichkeit. Naja, das hätte man auch ohne meinen Blogeintrag nachlesen können.
So als Gedankenspiel ist das für mich als Lehrerin attraktiv: ich als Person wirke auf die Schüler, die dadurch lernen und wachsen. Ich bin von meinem Fach begeistert, leite die Schüler dazu an, sich Fachwissen anzueignen, gebe ihnen Rückmeldung über ihre Fortschritte und arbeite wiederum ihre Rückmeldung in meine nächsten Unterrichtsschritte ein. Soviel ich habe ich mir als Lehrerin schon lange nicht mehr erlaubt.
Meinen Alltag regiert der Gedanke, ein kleines Rädchen zu sein in einem groooßen Getriebe. Frau Ministerin arbeitet kontinuierlich daran, es zu vergrößern und meine Verzahnung zu vervielfachen. Sollten die kleinen Zähnchen dann mal abbrechen, drehe ich durch ;). Nein, war nur Spaß. Ich bleibe dann einfach stehen und keiner merkt's.
An einer Schwerpunktschule verzahnt man sich nach allen Seiten, wird by doing Experte in diesem und jenem und beißt tapfer die Zähne zusammen (kleines Wortspiel, Zähne sind ja wirklich dankbar), wenn an einer weiteren Stelle Kraft übertragen werden muss. Denn dazu sind sie da, die Zähne, Kräfte zu übertragen, vom Großen ins Kleine. Allein, meine Schüler bewege ich selten.
Und nachdem ich in der ZEIT Hatties Thesen gelesen hatte ( und ich gehe nicht davon aus, mir hierbei Profundes angeeignet zu haben), ahne ich nun auch, warum. Ich bin für meine Schüler gar nicht greifbar. Von mangelnder Wertschätzung für mich und mein Fach will ich gar nicht sprechen, sie wissen schlicht nicht, wer ich bin und wofür ich stehe. Das war aber auch in meiner Ausbildung und in den bisherigen Bildungsdebatten nicht vorgesehen, Lehrerpersönlichkeiten zum Vehikel des Lernens zu erklären.

Und was geschähe, wenn man das täte? Wenn man tatsächlich die ideologische Prägung aller Bildungsbemühungen über Bord würfe zugunsten der Aus- und Weiterbildung und der Motivation integerer, talentierter Lehrerpersönlichkeiten?
Die Lehrerausbildung würde revolutioniert: Ausbildung nur durch begeisterte, fachlich bestens gerüstete Lehrer, die dafür gut bezahlt würden. Das Beamtentum würde abgeschafft, Erfolgsprämien eingeführt. Lehrerfortbildungen auf hohem Niveau wären selbstverständlich, der Austausch untereinander würde gefördert und die persönlichen Fähigkeiten genutzt und honoriert. Das Ansehen der Lehrer in der Bevölkerung würde in den Medien und der Politik gestärkt - vom armen Schwein, dessen Job man nicht machen möchte, zum beneideten Traumberufler.

Wichtig ich bin. Jau, Meister Yoda, du kleiner grüner Zwerg. Von dir können zwar alle was lernen, aber nur Luke hat's gemerkt. Und John Hattie.

Sonntag, 13. Januar 2013

Von der Zeit

This thing all things devours:
Birds, beasts, trees, flowers;
Gnaws iron, bites steel;
Grinds hard stones to meal;
Slays king, ruins town,
And beats high mountain down.

Diese Rätsel gibt - na?- Gollum Bilbo auf, und dieser löst es nur durch ein Missverständnis.

Die Zeit ist Thema einer Ausstellung im Frankfurter Museum für Kommunikation. In dieses Museum gehen wir am liiieeebsten, sogar an so einem herrlich sonnigen Tag wie heute. Die Ausstellung ist nicht spektakulär (wie z.B. "Satt", davon sprechen wir immer noch), aber sie hat doch meine Gedanken ins Rollen gebracht.

Alles ist der Zeit unterworfen, so wie in Gollums Rätsel. Unerbittlich läuft sie ab und wir modernen Menschen sind dazu verurteilt, sie dauernd sinnvoll zu nutzen, denn wir wissen, dass nichts mehr kommt, wenn unsere Zeit abgelaufen ist.
Die Zeit zu messen und einzuteilen, so dass auch Freizeit als Gegenstück zur Arbeitszeit entstehen kann, ist eine Erfindung des industriellen Zeitalters. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde durch elektronisches Telegrafieren in ganz Deutschland die Zeit vereinheitlicht. Vorher hatte jede Stadt, jedes Dorf ihre und seine eigene Uhrzeit, nicht absolut divergent, aber nicht normiert. Wenn ich nun diesen Kosmos verlassen und reisen wollte, musste ich mich fortbewegen. Eisenbahnen lösten die Kutschen ab. Ihre Fahrpläne mussten bald minutengenau geplant werden, damit möglichst viele Züge reibungslos fahren und halten konnten. Unsere moderne Beweglichkeit ist ohne das Diktat der Zeit nicht denkbar. Und ist die Möglichkeit zur Bewegung eröffnet, besteht auch eine Verpflichtung, sie zu nutzen. Sonst verpasst man etwas, das in der wenigen Zeit, die einem bleibt, nicht mehr nachzuholen sein könnte.

Tempo empfindet jeder anders. In jeder Situation empfinde ich es anders, je nachdem, ob ich es selbst vorgeben kann oder gelenkt werde. Angemessenes Tempo macht glücklich. Zeit wird erst dann relevant, wenn ich mein Zeitempfinden mit dem anderer Menschen in Einklang bringen muss. "Die Zeit" gibt es also gar nicht, sie ist ein Konstrukt, das es uns Menschen ermöglicht, in dieser Gesellschaft so zusammen zu leben. Zeit waltet in jeder Gesellschaft in unterschiedlicher Weise. Und auch in jedem Leben. Selbstbestimmung heißt im Wesentlichen, seine Zeit "frei einteilen" zu können. Sie dann auch noch gut zu verbringen, ist die Herausforderung schlechthin. In gut, also angenehm oder nützlich, verbrachter Zeit sehen wir einen "Sinn", noch so ein Konstrukt, diesmal eines, das uns hilft, den Gedanken an unsere Sterblichkeit zu ertragen.