Sonntag, 25. November 2012

Digitale Demenz

Jetzt habe ich es endlich auch gelesen. Nicht jede Seite, das gebe ich zu. Ich schätze Manfred Spitzer als mitreißenden Redner, und wenn er sich vergaloppiert oder Äpfel mit Birnen mischt, dann kann ich einfach nicht hinlesen. Schon der Titel ist polemisch und er lässt keinen Zweifel daran, dass Spitzer nicht dokumentieren, sondern lenken will. Er will uns retten.

Spitzer weiß viel und er legt es anschaulich dar. Sobald er über die Arbeitsweise des Gehirns spricht, hänge ich an seinen Lippen.
Wendet er sich der Arbeitsweise der Medien zu, fällt es mir teilweise schwer, ihm zu folgen. Manches habe ich schon gehört, und es leuchtet mir ein, z.B.: Wer gerade virtuell geballert hat, ist weniger empathiefähig. Manches finde ich absurd, z.B. das In-einen-Topf-Werfen aller Computerspiele. Selten unterläuft ihm eine argumentative Unschärfe, wenn er z.B. das Tippen einer Taste als weniger aktiv als das händische Schreiben bezeichnet, später aber das Spielen per Tastendruck als aktiv darstellt.

Eines aber trifft er genau: Den Zusammenhang von bildungspolitischem Messianismus und wirtschaftlichem Profit. Wir bringen euch das Heil ... und denken keinen Gedanken zuende. Was wird aus den Smartboards, die angemackt und funktionsuntüchtig vor sich hingammeln? Wer datet die ganzen Computer up? Wer erklärt uns Lehrern, an welchen Stellen wir unseren Unterricht mit dieser Technik bereichern?
Ein Computer-Bauftragter für jede Schule müsste her, außerdem Fortbildungen, die ihren Namen auch verdienen. Vielleicht sollte man die Lizenz-Gebühren, die in Windows gesteckt werden, obwohl es mittlerweile für alles freie Alternativen gibt, in die Pflege der schulischen IT und ihrer Nutzer stecken. Aber daran verdient ja niemand etwas.

Dies ist übrigens ein Blog-Artikel im Internet. Ich liebe das Internet, und auch Manfred Spitzer kann mir nicht weismachen, dass es mich verdummt. Doch die Verquickung von Bildungspolitik und IT-Lobbyismus hat einen, hat Spitzers genauen Blick verdient.

Freitag, 2. November 2012

Generationenfrage Internetnutzung?

Im Nachgang zu meinem gestrigen Post habe ich intensiv darüber nachgedacht, warum Politiker und Chefredakteure im Internet so viel Böses wittern. Heute kommt Antje Schrupp  mit einem Artikel daher, der meinen Gedankengang aufnimmt und klärt: "Netzfeminismus, was soll das denn sein" auf antjeschrupp.com (schade, dass man hier keinen Link posten kann, wahrscheinlich bin ich nur zu blöd dazu).

Politiker meines Alters sind nicht mit dem Internet groß geworden. Ich blogge hier nur dank meines technikaffinen Lebensgefährten, der mir nicht nur gezeigt hat, wie man einen Blog einrichtet, sondern auch, was da für interessante Sachen drin stehen können. Er selbst ist sicher nicht repräsentativ für den Umgang unserer Generation mit dem Netz, den Schrupp kurz umreißt mit: mailen, recherchieren, Ende. Diskutieren ist da nicht vorgesehen.

Will ein Politiker über vierzig sich aktiv im Netz betätigen, "darf" er das nicht mehr, wenn er die Karriere-Leiter schon so weit erklommen hat, dass jede seiner Äußerungen kontrollierbar und rückholbar sein muss. Ein jüngerer Politiker, der sich schon lange aktiv im Netz betätigt, hat dort höchstwahrscheinlich schon mal etwas abgesondert, was seiner Karriere im Weg steht. Er wird also nicht mehr in die oberen Ränge aufrücken. Somit sind keine Politiker in der Politik aktiv, die auch im Netz aktiv sind. Auf dieser Grundlage muss ihnen das Internet unheimlich und die dort herrschende Freiheit suspekt werden.

Schrupp beendet ihren Artikel mit der Mutmaßung, dass es noch so zwanzig Jahre dauert, bis sich die "Relevanzverhältnisse im gesellschaftlichen Diskurs" im Internet abbilden. Denn erst dann wird jede/r das Netz sinnvoll und selbstverständlich nutzen können.

Das könnte etwas schneller klappen, wenn die unselige und heuchlerische Front "vertrauenswürdige Medien wie Print und Öffentliche Sender versus Netz" aufgelöst wird, wie sie z.B. die ZEIT in ihrer aktuellen Ausgabe mit dem Artikel "An die Wand" aufmacht.

Jetzt ziehe ich mich wieder auf vertrautes geistiges Gebiet zurück. Im nächsten Post wird es wahrscheinlich um Türen gehen ;).

Donnerstag, 1. November 2012

Wege zur Kunst

Sie sind manchmal länger als gedacht, heute je zwei Stunden hin und zurück, das Doppelte der üblichen Zeit.
Unter dem Motto "Privat" zeigt die Schirn Fotos und Videos der Post-Privacy-Ära, in der wir uns gerade befinden. Begrüßt wird der Besucher mit einer verschlossenen Tür, hinter der die Geräusche eines Beziehungsdramas zu hören sind. Großartige Idee! Bin ich doch gestern von einem Ureinwohner meines Ortes über den nicht vorhandenen Zaun und die nicht vorhandene Tür hinweg als faul beschimpft und über richtige Gartenpflege belehrt worden. Eine Tür, schon eine gläserne, hätte mich wahrscheinlich beschützt. Was hinter Türen statt findet, geht uns nichts an. Da mag heraus dringen, was will.

Unwillkürlich frage ich mich, was da jetzt wohl Kunst sein könnte und gehe erst mal nach den Namen der Künstler. Mein Stern Andy hat seinen schlafenden Liebhaber gefilmt. HM. In so manchen Raum habe ich keine Lust, hinein zu gehen, zum Beispiel auch zur hoch gelobten Nan Goldin.
Beeindruckend hingegen Fiona Tans wandfüllendes Panorama japanischer Lebenssituationen: jung sein, heiraten, Kinder, Urlaub, Kirschblüte. Viele Facetten, anrührend fotografiert.
Auch beeindruckend, aber sehr traurig: Marilyn Minters Serie "Mom". Genial: Sophie Calle. Der König: Ai Wei-Wei.

Die Frage nach der Kunst hat sich schnell in Luft aufgelöst, viel wichtiger ist: Was in diesen Bildern und den Motivationen, sie zu machen, kann ich verstehen? Was sagt es über mein Leben? Dieser Blog ist öffentlich, aber nur ganz wenige Menschen lesen ihn. Er ist auch privat, denn ich schreibe nur über Dinge, die mich persönlich interessieren. Im Falle Ai Wei-Wei wurde das, was ihn interessierte, politisch. Er sieht die Produktion von Texten und Bildern als gleichwertig und gleichzeitig an. Im Mittelpunkt steht seine persönliche Sicht der Dinge, die er öffentlich zur Schau stellt, in seinem Blog. Das habe ich sofort verstanden. Leider mache ich nicht so gute Bilder wie er. Mein Weg zu seiner Kunst führte über die Stärke seiner Bilder.

Die gerade entbrannte Debatte über Web 2.0 und  die Zukunft der vernetzten Gesellschaft hört sich doch verdammt kulturpessimistisch (ja, genau, Anklang an Früheres) an. Was da in der ZEIT zu lesen (ich hab' s heute mal wieder versucht) und im Radio zu hören ist, ist manchmal schwer zu ertragen. Warum äußern sich die Leute nicht einfach über etwas, von dem sie eine Ahnung haben? Warum ist da so wenig Hingabe im Spiel? Eher mehr so kleinkariertes Besserwissertum? Ich bin dafür, dass alle Politiker und alle Chefredakteure (doch, auch der von der BILD) kostenlos in die Schirn gehen dürfen. Macht euch auf den Weg zur Kunst.

Meine Sicht des Privaten und seiner Qualität hat sich verändert, konkretisiert: Nur, wenn ich etwas wichtig nehme und zu meinem Thema mache, kann ich andere Menschen dafür interessieren. Und so nebenbei habe ich einige Bilder gesehen, die in meinem Kopf bleiben werden.